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Von Voodoo-Priestern, Regentänzen und Trainerentlassungen

Als Soziologe und Systemtheoretiker tobe ich mich ja eigentlich bei den Sozialtheoristen aus. Doch es gibt die seltenen Fälle, in denen sich die beiden Themen überschneiden. Ich will mir den Fußball ja nicht kaputt analysieren. Deshalb achte ich meist darauf, die soziologische Brille abzunehmen, wenn ich mich mit Fußball beschäftige. Die ganze Wahrheit will ich dann doch nicht sehen, denn mir würde wohl der Spaß an der Fußball-Leidenschaft vergehen.
Nun komme ich allerdings nicht umhin, einen kleinen soziologischen Exkurs über die latenten Funktionen von Regentänzen und Trainerentlassungen anzustellen.

Ich hab mir das ja nicht einmal selbst ausgedacht, sondern wurde quasi dazu genötigt. Die ARD hat einen echten, modernen Voodoo-Zauberer interviewt, der den für einen Voodoo-Magier so unwirklichen Namen Herr Sprenger trägt. Aber es scheint der Vermarktung von Voodoo-Zauber sehr zuträglich zu sein, wenn man sich heutzutage seriös und durchschnittlich präsentiert. Er könnte glatt einer von uns sein.
Jedenfalls macht der Voodoo-Zauberer mit dem Namen Sprenger einen Vergleich (welcher – das muss einfach an dieser Stelle gesagt werden – erstaunlicherweise eine nicht abweisbar rassistische Färbung hat, was für ihn als Verfechter der heiligen Magie des Voodoos doch eigentlich überhaupt nicht in Frage kommt. Doch ist es eben so, dass gerade die modernen Voodoo-Priester über eine seltsame Schizophrenie verfügen, die sie auf der einen Seite weltmännisch erscheinen lassen und auf der anderen Seite kommen sie dann doch immer wieder primitiv und eurozentristisch regional daher.). Er vergleicht eine Trainerentlassung mit afrikanischen Regentänzen:

Ich vergleiche das immer mit afrikanischen Regentänzen. Da kommt ja auch kein Regen, aber man muss halt tanzen.

Das ist eine typische Voodoo-Weisheit, die ja mittlerweile jeder kennt und kaum mehr als exklusives Wissen der Voodoo-Kaste gelten kann. Daher ist das Interview als solches (vom plumpem Rassismus mal abgesehen) reichlich uninteressant.
Allerdings fiel mir beim Regentanz meine erste Lektion in funktionaler Analyse wieder ein. Hier geht es nicht um die Analyse kausaler Zusammenhänge (Tanzen, damit es regnet), sondern um die Frage, welche latenten Funktionen hinter bestimmten Handlungen stehen. Auf diese Weise kann man interessante Perspektiven entwickeln, was eine Stärke funktionaler Analyse ist. So geht es im Beispiel des Regentanzes ganz sicher nicht darum, dass es regnet. Denn ein funktionales Äquivalent des Regentanzes wäre z.B. das Lynchen eines Mitgliedes des Stammes. Wie kommt man darauf?
Ein Regentanz wird dann aufgeführt, wenn es lange Zeit nicht geregnet hat und in dieser Folge die Nahrungs- und Wasservorräte einer Dorfgemeinschaft zu Neige gehen, die Stimmung in Aggressivität umzuschlagen droht und somit ein weiteres gemeinsames und friedliches Zusammenleben gefährdet ist. Ein rituelles Opfer der Gemeinschaft könnte diese Spannungen lösen. Spätestens nach der dritten Dürreperiode dürfte sich aber erweisen, dass dies keine dauerhafte Lösung sein kann. Schließlich würde sich auf diese Weise die Dorfgemeinschaft rapide minimieren. Also wird ein gemeinsamer, drogenberauschter Tanz aufgeführt, der in Trance versetzt und die Nöte und Bedürfnisse vergessen lässt, sodass die Gemeinschaft erhalten bleiben kann. Der Regentanz ist also ein funktionales Äquivalent zu Mord und Totschlag in einer Stammesgemeinschaft. Das muss den Beteiligten nicht bewusst sein. Was aber sicher ist: Es spielt keine Rolle, ob der Regen in Folge des Tanzes einsetzt oder ausbleibt. Einzig und allein die latente Funktion des Erhalts der Dorfgemeinschaft spielt hier die Rolle. Und besonders wirksam ist sie in diesem Fall, weil die latente Funktion (Erhalt der Gemeinschaft) hinter der deklarierten Funktion (Regen herbeitanzen) verschwindet.
Und auch bei Trainerentlassungen ließe sich fragen, was es für latente Funktionen gibt, die von einem Trainerwechsel verdeckt werden. Angesichts einer sportlichen Talfahrt, die einer Trainerentlassung meist voraus geht, steht der Verein in sportlicher Hinsicht vor dem Zusammenbruch und rettet sich durch das Bauernopfer der Trainerentlassung. Es ist – ebenso wie beim Regentanz – vollkommen egal, ob danach Besserung eintritt oder der sportliche Abstieg fortgesetzt wird. Gerade darum geht es ja nicht. Man muss also nach funktionalen Äquivalenten fragen, die den Blick auf die latente Funktion des Trainerwechsels freigeben. Mir fallen spontan verschiedene Möglichkeiten für funktionale Äquivalente zu einer Trainerentlassung ein:
Erstens: Die sportliche Leitung erklärt die Umstände des sportlichen Misserfolgs, stellt einen seriösen, langfristig orientierten Plan zur Konsolidierung vor, bittet um Geduld und Verzeihung, relativiert die Saisonprognose und wartet, bis sich der Erfolg wieder einstellt. Das Warten kann natürlich länger dauern und auch den Abstieg bedeuten und die Dauer des Wartens hängt davon ab, wie stark der Verein umgebaut werden muss und wie gut sich die Veränderungen umsetzen lassen. Aber das Manövrieren mit dem Abgrund vor Augen gehört dazu. Übrigens auch dann, wenn man aktionistisch den Trainer wechselt.
Die Frage stellt sich natürlich, warum nicht so gehandelt wird. Meine These dazu lautet, dass kaum ein Verein so gut in Sachen strategische Planung aufgestellt ist, dass solch ein Konzept zur Konsolidierung erarbeitet werden kann. In meinen Augen arbeiten die meisten Bundesligisten auf dem Niveau eines kleinen mittelständischen Unternehmens aus den 60er Jahren. In der Regel wird in die Management-Mottenkiste gegriffen, um auf unliebsame Veränderungen zu reagieren. Sportlicher Erfolg resultiert daher aus Zufällen und struktureller Tradition (der Vereine und der Liga). Von Wettbewerb kann hier höchstens auf dem Platz gesprochen werden. Abseits des Platzes finden wir nur die Starrheit der 60er Jahre. (Nimmt man einmal die Hoffenheimer beiseite, die ja gerade zeigen, was sich erreichen lässt, wenn man die ganze Sache einmal von vorn bis hinten durchdenkt. Allerdings haben sie die strukturelle Freiheit, dass sie keine bindende Tradition haben, die die meisten Bundesligisten in ihrer Entscheidungsfreiheit einschränkt oder geradezu erdrückt.)
Zweitens: Das kickende Personal wird gewechselt. Angesichts der Transferfenster und den extrem hohen Kosten, ist dieser Schritt aus strukturellen Gründen nicht realisierbar. Und es gibt ja gute Gründe, dass das auch so bleibt.
Drittens: Die sportliche Leitung erklärt ihren Rücktritt. Das wäre in den meisten Fällen konsequent. Denn ein sportliches Scheitern hängt in allererster Linie von der Zusammensetzung und der daraus resultierenden Eigendynamik des kickenden und trainierenden Personals zusammen. Fragt man einen Personaler eines großen Betriebs, so wird er bestätigen, dass die Zusammensetzung von Abteilungen, die im Team arbeiten müssen, höchste Priorität in der Rekrutierung besitzt. Es geht bei der Rekrutierung nicht um die Fähigkeiten des Einzelnen, sondern um die gesunde Mischung des Personals, sodass ein gemeinsames Arbeiten möglich ist. Viele Dinge, die gruppendynamisch entstehen können, lassen sich zwar nicht voraus sehen. Dennoch ist die Personalauswahl als der entscheidende Einflussfaktor auf sportlichen Erfolg auszumachen. Denn dieser Einflussfaktor lässt sich steuern, was auf viele andere Bereich nicht zutrifft. Und für die Auswahl von Spieler und Trainer ist das Management verantwortlich. Es müsste daher konsequenterweise im Falle des sportlichen Misserfolgs zurücktreten.
Es stellt sich auch hier die Frage, warum das in den seltensten Fällen geschieht. Meine These dazu lautet ganz ähnlich, wie beim ersten Fall. Die Ansichten im Management der Bundesligisten sind von geradezu steinzeitlicher Prägung und reflektieren ihere Verantwortung bei der Rekrutierung des geeigneten Personals nicht. Außerdem tun sich Entscheider in der Regel schwer damit, die negativen Folgen ihrer Entscheidungen sich selbst zuzurechnen. Dieser Mangel an Reflexion verhindert eine langfristig strukturelle Entwicklung der Vereine, was einem (mehr oder weniger) bewussten Inkaufnehmens eines Wettbewerbsnachteils gleichkommt. Da aber alle Bundesligisten auf eine langfristige Strategie verzichten, muss dieses Verhalten eher als Verzicht auf einen strukturellen Vorteil bezeichnet werden.

Weitere These dürfen gerne in den Kommentaren geäußert werden.

Abschließend lässt sich also festhalten, dass der Voodoo-Priester Strenger zwar Recht hat, dass Regentänze und Trainerentlassungen etwas gemein haben. Allerdings weiß er nicht wovon er redet (was für die Voodoo-Kaste wiederum ganz normal ist). Denn es geht bei beiden Phänomenen ja nicht darum, dass dämliche, abergläubische Akteure vergeblich auf ein Wunder warten, was wir abgeklärten Europäer ja leicht durchschauen können (worin sich seine spezielle Form des latenten Rassismus äußert). Es geht vielmehr um die Bedeutung von latenten Funktionen, die sowohl Trainerentlassung als auch Regentanz gemein haben: Den Erhalt einer Gemeinschaft. Unterschiede machen sich aber in den Alternativen sichtbar. Denn die Stammesgesellschaft hat nur Mord und Totschlag zur Alternative, weshalb der Regentanz ein sinnvolles funktionales Äquivalent darstellt. Der Verein hätte die Möglichkeit, mit einem strukturellen Wandel seiner Organisation zu reagieren. Da aber genau dies nicht gewollt ist, muss der Trainer gehen.

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Ein Kommentar

  1. Erstellt am 26. November 2008 um 13:39 | Permanent-Link

    Aber ja, natürlich, Trainerentlassungen sind zuallererst ein probates Mittel, Aktivität vorzutäuschen und nicht in den Verdacht zu geraten, man schaue sich die sportliche Krise nur an und hoffe auf Regen…selbst wenn das die einzig rationale Option wäre. Die ganze Mannschaft kann aus ökonomischen Gründen nicht ersetzt werden, die Vereinsführung wird sich üblicherweise nicht selbst enthaupten, den Schiedsrichter kann man sich für gewöhnlich auch nicht aussuchen – also ist der Sündenbock dran. Das bringt zwar (i.ü. statistisch bewiesen) mittelfristig sportlich überhaupt nichts, zeigt der Basis aber, dass “etwas getan” wird, um der Fehlentwicklung Herr zu werden. Natürlich trifft es bei dieser Art von “symbolic action” den einzelnen, als Fehlerursache ausgemachten, Vereinsangestellten ohne Lobby. Bei der Gelegenheit nimmt man in der öffentlichen Wahrnehmung auch prima sich selbst als Vereinsführung und die selbst zusammengestellte Mannschaft erstmal aus dem Schußfeld.

    Allerdings ist dieses Vorgehen auch jenseits vom Fußball durchaus beliebt. Nur als Beispiel: Kein Sicherheitsexperte würde ernsthaft behaupten, dass durch absurd rigide Flughafenkontrollen das Risiko terroristischer Anschläge minimiert wird, wir also sicherer fliegen. Allerdings wird durch akribische Taschenkontrollen und Konfiszierung auch des im Handgepäck mitgeführten Nutella-Vorrats prima der Eindruck erweckt, man würde auf die latente Bedrohung reagieren und “alles menschenmögliche tun” (auch eine prima Entschuldigung, falls dann doch etwas passiert). Denn im Kampf gegen internationalen Terrorismus die ganze Mannschaft oder den Vorstand auszutauschen geht ja auch so schnell nicht.

    Systemische Bankenkrise? Ackermann schuld! Korruption bei Siemens? Abhörskandal bei der Telekom? Alles Schuld einzelner Missetäter. Fußball ist jedenfalls nicht der einzige Realitätsbereich, bei dem Schuld einzelnen “Verantwortlichen” zugeschoben wird, anstatt womöglich das System infrage zu stellen. Täter gefasst, alles ist gut.

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