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Die wahre Hertha-Krise: Gefährliche Entfremdung der Fans von ihrem Verein

Es ist ja derzeit viel von Krise zu lesen, wenn es um unsere Hertha geht: Keine Führungsspieler, unerreichbare Ziele, der Umgang mit diesen Zielen, Stagnation, mentale Misere und derlei sportliche Missstände. Die Hinrunde liest sich wie ein einziges sportliches Desaster. Man muss derzeit einfach nur mal die Presseberichte anschauen.

Doch das eigentliche – und ungleich bedeutendere – Verhängnis spielt sich weitestgehend abseits der massenmedialen Scheinwerfer ab. In dieser Saison hat es eine enorme Distanzierungsbewegung der aktiven Fans von dem Verein gegeben. Die ohnehin kritischen Fans haben aufgegeben und kehren dem Verein den Rücken zu um dabei nochmals harsche Kritik zu äußern und die Versäumnisse des Vereins anzuprangern. Das ist eine fatale Entwicklung, die noch unabsehbare Folgen haben kann. Im folgenden möchte ich ein paar Entwicklungen zusammenfassen und die Argumente sammeln. Um eins vorweg zu nehmen: Es sieht düster aus!

Ich denke, dass man die Entwicklung zwischen dem Verein Hertha BSC und seinen aktiven Fans an zwei exemplarisch herausgegriffenen Beispielen verdeutlichen kann. Für die Fanszene sind in dieser Hinrunde zwei Streitfälle eskaliert: Erstens geht es um die Diskussion über den Umgang mit Stadionverboten und die Reaktion der Harlekins Berlin und zum anderen geht es um die Vorfälle mit der Polizei in Hamburg und die offizielle Reaktion der Hertha.

Zu den Stadionverboten:
Anfang September diesen Jahres war für die Harlekins das Fass übergelaufen, was für sie die Konsequenz hatte ihren Support einzustellen. Zurecht verurteilen sie die mangelnde Kooperationsbereitschaft der Hertha. Auch bei Stadionverboten muss die Unschuldsvermutung gelten. Die zermürbenden, ergebnislosen Diskussionen endeten in Frustration und Resignation. Und das ist schon erstaunlich. Denn die Harlekins gibt es mittlerweile seit fast 10 Jahren und sie bilden den aktiven Kern der Hertha-Fans. Sie leben für ihren Verein und organisieren Auswärtsfahrten, entwerfen Choreographien und sorgen für Stimmung in der Kurve. Einige planen ihren Urlaub gar analog zu den Trainingslagern. Darüber hinaus haben sich im Förderverein Ostkurve eingebracht und den Fankongress in Leipzig besucht. Da muss also schon ordentlich was passiert sein, wenn sie sich jetzt zurückziehen.
Sicher mussten sie sich immer wieder von anderen Hertha-Fans Kritik anhören. Stichworte: Überheblichkeit, Dauergesänge, Pöbeleien, zu starke Selbstdarstellung, etc. Dabei mussten die Kritiker leider feststellen, dass die Harlekins und andere Ultragruppierungen sich sehr wenig kritikfähig zeigten. Deshalb gab es nicht wenige Stimmen, die den Rückzug der Ultras begrüßten. Das ist natürlich Wasser auf die Mühlen der offiziellen Vertreter des Vereins. Denn sobald es auch Stimmen aus der Kurve gibt, die sich über den Rückzug freuen, ist es den Offiziellen ein Leichtes zu sagen, dass sie ja durchaus den Standpunkt der Kurve vertreten und nur die Störenfriede bekämpfen. Hier haben die Harlekins einfach auf lange Sicht zu viel Kredit verspielt. Sowohl bei dem Verein, als auch bei anderen Fans. Ein Scheitern in dieser Frage ist daher geradezu zwingend.
Das ist bedauerlich. Denn in der Sache haben sie Recht: Es kann nicht sein, dass 34 Personen nach einem Vorbeugegewahrsam ein Stadionverbot ausgesprochen wird. Ich kann mich nur wiederholen und fragen: Wo bleibt hier der Rechtsstaat? Das zentrale Problem der Ultras: Sie rechtfertigen ihre Sturheit gegenüber bestimmten Argumenten mit der Lebenseinstellung, die ein “richtiger” Ultra mitbringen muss. Damit bringen sie sich aber in ein unlösbares Dilemma. Geben sie sich kompromissbereit, so verletzen sie ihr Selbstbild. Bleiben sie kritikunfähig und bringen somit auch andere Fans der Kurve gegen sich auf, haben sie keinen Standpunkt vor den Offiziellen. Die Angelegenheit ist zum Scheitern verurteilt. Und Schuld sind mal wieder beide Seiten: Verein und Ultras.

Zu den Vorfällen in Hamburg:
Man lese sich einmal den offenen Brief des Fördervereins Ostkurve durch. Das ist nicht nur erschreckend, sondern schockierend und entsetzlich, wie die Polizei gegen Fußballfans vorgeht. Minderjährige und Frauen werden verprügelt, Menschen werden auf die Gleise zwischen Zug und Bahnsteig geschubst, am Boden liegende Fans werden mit Schlagstöcken geschlagen. Aus einem Zeugenprotokoll:

“Es half nichts, wir wurden immer weiter in Richtung Treppe gedrängt. Hier bot sich mir das Bild, einer von zerbrochenem Glas und Nässe übersäten Treppe. Jeder musste höllisch aufpassen, nicht zu Fall zu kommen und sich nicht am Glas zu verletzen. Rücksichtslos wurde jedoch weiterhin von der Polizei gedrängt und gestoßen, so dass einige Fans zu Fall gekommen sind. Diese Stürze und Verletzungen wurden von den Beamten billigend in Kauf genommen.”

Und man kann davon ausgehen, dass solche Vorwürfe nicht “einfach so” in einem offenen Brief gemacht werden, sondern konkrete Vorfälle vorliegen. Was hat das mit dem Verein zu tun, der sich mit einer eigenen Stellungnahme vier Wochen Zeit ließ um die Vorfälle entsprechend auswerten zu können? Eine Menge. Denn die offizielle Stellungnahme von Hertha BSC ist nicht weniger erschreckend. Denn nach vier Wochen scheint der Verein – trotz zahlreicher Augenzeugenberichte! – nicht in der Lage zu sein, das Vorgehen der Polizei zu verurteilen oder zumindest zur Zurückhaltung aufzurufen, damit es nicht wieder zu solchen Vorfällen kommt. Es ist kein Wunder, dass die Betroffenen und die potentiell Betroffenen, die sich an Auswärtsfahrten beteiligen, diese “Stellungnahme” als eine einzige Enttäuschung interpretieren. Die Reaktion in den Foren sieht kaum anders aus. Und man bedenke, dass es sich hierbei nicht primär um die Geschädigten handelt, sondern um eine breite Schicht von Fans. Ich kann das nur verstehen und teile diese Einschätzung. Wenn ich das Risiko eingehe bei einer Auswärtsfahrt ohne eigenes Verschulden verprügelt zu werden, dann erwarte ich, dass der Verein solch ein Vorgehen verurteilt. Erst Recht, wenn der Verein sich mit den Lorbeeren seiner Fans zu schmücken weiß. Man schaue sich nur einmal das Intro der offiziellen Hertha-Website an. Wer ist denn da zu sehen?

Und das hat Folgen:
Wir – die Fußballfans – müssen die mangelnde Solidarität der Vereinsoffiziellen anprangern. Immer und überall. Aber man muss dabei kritikfähig bleiben. Sonst bietet man zuviel Angriffsfläche und wird gespalten. Dann ist es nicht mehr möglich seinen Standpunkt zu vertreten.
Im Falle von Hertha BSC ist die größte Krise des Vereins derzeit die Entfremdung zwischen Fans und Verein. Die sportliche Misere ist dagegen nahezu banal. Ein Abstieg kann jedem Fan das Herz brechen. Aber ein gebrochenes Bein, eine zertrümmerte Nase, ein taubes Ohr, eine unschuldig im Gefängnis verbrachte Nacht sind Geschehnisse, die nicht in der nächsten Saison wieder ausgebügelt werden können. Diese Erfahrungen können Menschen sowohl physisch als auch psychisch dauerhaft verletzen. Das kann und darf den Verantwortlichen der Polizei, der Verbände und den Vereinen nicht egal sein!
Es ist dabei nicht damit getan einfach nur auf die “böse, böse” Kommerzialisierung der Fußballs zu schimpfen. Das alleine kann es nicht sein. Denn auch wir als Fans müssen uns so präsentieren, dass man uns gerne zu Gast hat, dass man mit uns spricht, dass man sich uns verbunden fühlt. Wir müssen wollen, dass man uns versteht. Sonst ist es zu leicht Argumente gegen unsere (Menschen-)Rechte zu finden. Und da hilft es gerade nicht, dass man sich nur auf die Ideale der Ultras bezieht und damit von vornherein eine konstruktive Diskussion verhindert und alle moderateren Kräfte gegen sich aufbringt. In erster Linie müssen sich die Fans wieder gemeinsam präsentieren und eine gemeinsame Sprache finden. Auch dafür müssen die Ultras kompromissbereiter sein. Es geht nicht darum, dass sie sich mit Kaviar in Business-Seats anfreunden sollen. Aber die Bedürfnisse der Kurve müsst ihr euch schon anhören. Sonst ist es zu leicht uns zu spalten und in Hooligans und Gäste einzuteilen. Nur wenn wir gemeinsam sprechen, wird unsere Stimme erhört und unser Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Unversehrtheit bewahrt.
Macht man nur die zweifelsfrei voranschreitende Kommerzialisierung des Fußballs im Allgemeinem und der Hertha im Besonderen für die Missstände verantwortlich, dann negiert man damit die eigenen Handlungsmöglichkeiten. Wir haben es selbst in der Hand. Erst wenn wir mit einer gemeinsamen Stimme auftreten werden auch die Massenmedien und in der Folge die Politik für unsere Belange sensibilisiert. Ich möchte damit nicht den einheitlichen, uniformen Proto-Fan heraufbeschwören. Dissens und Diskussion muss möglich immer sein. Aber dazu muss es auch erst einmal kommen.

Aber ganz ehrlich: Ich glaube nicht daran. Leider. Dafür erscheint mir die Situation zwischen den Fans einerseits und einzelnen Gruppierungen und dem Verein andererseits zu verfahren. Leider, leider.

Wenn es so weiter geht, dann sehe ich italienische oder albanische Verhältnisse auf uns zukommen. Das ist bitter und sicherlich die größte Krise.

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4 Kommentare

  1. Achim
    Erstellt am 20. Dezember 2007 um 13:51 | Permanent-Link

    Die Verantwortlichen von hertha haben sich immer hohe Ziele gesteckt. Für mich fehlte beim Zusammenstellen der Mannschaft immer so etwas wie Kontinuität. Einfach zu viel Unruhe im Verein.

  2. Erstellt am 15. Januar 2008 um 12:44 | Permanent-Link

    Das waren noch Zeiten, als es in der Ostkurver schallte: “Uffta, uffta, Tätärääää!” Aber seid die Harlekinz und andere in den Streik getreten sind, ist es leiser geworden in der Kurve. Aber auch die Erfolge blieben aus. Das wird sich ändern, wenn neben Ra

  3. Erstellt am 19. Februar 2008 um 09:10 | Permanent-Link

    In den letzten Folgen der Hertha Soap war zu lesen, wie Dieter den Trainer demontierte (I), ihm anschließend das Reden über den Abstieg verbot (II) und wie er in der letzten Woche die Imagekampagne Aus Berlin. Für Berlin. aus der Schreibtischschublade zau

  4. Erstellt am 21. Februar 2008 um 15:15 | Permanent-Link

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